Hund müsste man sein. Oder?

Beneidest du deinen Hund manchmal um sein einfaches und überschaubares Leben? Er wird regelmäßig gestreichelt, bekommt leckeres Futter serviert und darf sich nach dem Spaziergang auf einer Decke ausruhen. Autoreparatur, Krankenversicherung, Steuererklärung? Keine Themen für den Hund – um all diese Angelegenheiten muss er sich nicht kümmern. Allerdings zahlt er dafür auch einen Preis. Wir Menschen haben hohe Erwartungen an ihn, denen er gerecht werden soll. Freundlich und wohlerzogen soll er sein, hübsch anzusehen und sozial verträglich. Diese soziale Rolle, der beste Freund des Menschen zu sein, ist seine größte Aufgabe, die zu erfüllen wir wie selbstverständlich von ihm erwarten.

„Seit jeher musste der Hund menschlichen Erwartungen
gerecht werden.“

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass Hunde ganz andere Aufgaben hatten. Noch bis ins letzte Jahrhundert hinein hatten die meisten Hunde irgendeine Art von Beruf. Viele waren Wachhunde und schützten ein Haus oder Grundstück vor unerwünschten Eindringlingen. Sie waren Hüte- und Herdenschutzhunde, die eng mit einem Schäfer zusammenarbeiteten. Sie trugen Gepäck, zogen Lasten. Vermutlich schon seit Anbeginn der Mensch-Hund-Beziehung, also seit etwa 20.000 bis 30.000 Jahren, unterstützten sie den Menschen bei der Jagd. Die Spezialisierung auf ausgefeilte Jagdtechniken wie Hetzen, Stöbern, Apportieren, als Einzeljäger oder Teil einer Meute kam übrigens erst viel später, als der Mensch durch Zucht in die Entwicklung des Hundes eingriff.

Viele dieser Aufgaben sind spätestens mit der Digitalisierung verschwunden. Statt Wachhunde haben die Menschen Alarmanlagen und Überwachungskameras, es gibt immer weniger Schäfer – und statt Wild zu erlegen und zu verzehren, kaufen wir Lebensmittel im Supermarkt. Der Hund wurde innerhalb weniger Jahrzehnte gewissermaßen arbeitslos.

Hunde mit Beruf heute

Gleichwohl gibt es natürlich bis heute Hunde mit Beruf. Hochspezialisierte Hunde sind für Polizei und Zoll im Einsatz und spüren Drogen und andere illegal eingeführte Produkte auf. Hunde suchen in Katastrophengebieten nach Verletzten und Verschütteten, sie führen Menschen mit Behinderung durch den Alltag. Speziell für den Artenschutz ausgebildete Hunde können bestimmte Tierarten aufspüren. Damit helfen sie in der Forschung und im Naturschutz, Tiere bedrohter Arten zu lokalisieren und Aussagen über Populationsgrößen oder den Gesundheitszustand der Tiere zu treffen. Artenschutzhunde spüren zum Beispiel Schildkröten, Igel, Vögel, Bären, Luchse, Fischotter und Füchse auf – oder ihren Kot. Sogar die Hinterlassenschaften von Meerestieren wie Orcas können Hunde orten, was Forschern wichtige Erkenntnisse über die bedrohten Meeressäuger ermöglicht.

Einen wertvollen Dienst leisten aber auch Hunde, die andere Tiere dort dingfest machen, wo sie nicht sein sollten: Fledermäuse in Windturbinen beispielsweise oder Schädlinge im heimischen Wald. Zertifizierte Käferspürhunde können in Bäumen und Holz den Asiatischen Laubholzbockkäfer oder den Zitrusbockkäfer aufspüren, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo der Befall für das menschliche Auge noch unsichtbar ist. Auch Hüte- und Herdenschutzhunde für Schafe gibt es nach wie vor. Die meisten Hundeberufe liegen allerdings heute im sozialen Bereich, zum Beispiel als Therapiehunde für Kinder, aber auch für ältere Menschen, etwa in der tiergestützten Biografiearbeit mit Demenzkranken.

„Hunde verbessern die Lebensqualität und
können sogar Leben retten.“

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Assistenzhunden, die ihren Menschen gezielt in bestimmten Situationen helfen: Diabetikerwarnhunde zum Beispiel warnen ihren menschlichen Partner mit Diabetes vor einer Über- oder Unterzuckerung. Epilepsiewarnhunde machen auf einen drohenden epileptischen Anfall aufmerksam. Der Mensch wird vom Anfall nicht überrascht und kann sich hinsetzen oder -legen, um beim Anfall nicht zu stürzen. Epilepsieanzeigehunde können auch Medikamente holen, einen Alarmknopf betätigen oder andere Menschen zu Hilfe holen. Solche Hunde mit hochspezialisierten Aufgaben haben eine mehrjährige Ausbildung – dafür verbessern sie die Lebensqualität ihrer Menschen erheblich und können sogar Leben retten.

Wichtige soziale Funktionen

Allerdings hat nur ein Bruchteil der heutigen Hunde so klar definierte und spezialisierte Funktionen. Wenngleich die meisten Hunde arbeitslos sind – aufgabenlos sind sie keineswegs. Die meisten Nachfahren der treuen Arbeitstiere der Vergangenheit leisten heute ihren Dienst als Profis der Sozialarbeit: Sie sind Familienhund, Kinder- oder Partnerersatz, bester Kumpel, Sportpartner. Manchmal sind sie auch Modeaccessoire, Zuchttier, Sportgerät.

„Wenngleich die meisten Hunde arbeitslos sind –
aufgabenlos sind sie keineswegs.“

Was sie nicht sind: frei. Der Freiheitsentzug der meisten Hunde ist umfassend. Er beginnt mit scheinbaren Kleinigkeiten. Sie sind beispielsweise gezwungen, Halsbänder zu tragen und an einer Leine zu gehen, wir entscheiden, wann der Hund nach draußen darf. Mit den Anforderungen an den Hund als Sozialpartner geht es weiter. Als Seelentröster sind viele Hunde meist schlicht überfordert. Umso größer ist die Verantwortung, die wir Menschen ihnen gegenüber haben, ihren Bedürfnissen soweit es geht entgegenzukommen, und sie eben als das wahrzunehmen, was sie sind: Hunde – keine Ersatzmenschen. Sie machen schließlich auch keine Steuererklärung.

„Der Freiheitsentzug der meisten Hunde ist umfassend.“

Spiegel der Gesellschaft

Hunde waren immer und zu jeder Zeit ein Spiegel der menschlichen Gesellschaft, in der sie lebten. Hunde auf Gemälden und in alten Schriften sagen seit jeher etwas über den Status ihrer Menschen aus – mit Jagdhunden ließen sich reiche Adlige malen, mit Schoßhunden die Damen; Bauernhunde repräsentierten bäuerliches Leben oder das Elend der Armen. Schon vor zweihundert Jahren waren Hunde ein Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände: „Die immer weiter auseinanderklaffenden ökonomischen Gegensätze zwischen verarmten Bauern und betuchten städtischen Industriellen, von Gewinnern und Verlierern der Industrialisierung wurde durch die Darstellung von Hunden illustriert. So kam es zu Bildern von herausgeputzten Rassehunden kontra Bauernhund oder vom wohlgenäherten nützlichen Arbeitshund und den heruntergekommenen Straßenhunden“. *

Gesellschaftshunde wurden, insbesondere durch die höhergestellte Gesellschaft, zu allen Zeiten gehalten, zum Beispiel schon durch die Römer. In den europäischen Adels- und Königshäusern des 18. Jahrhunderts herrschte eine regelrechte Mops-Mode – der Mops sorgte bei Königs für Komik, Ablenkung und Zerstreuung.

„Hunde waren immer und zu jeder Zeit ein Spiegel der menschlichen Gesellschaft.“

Auch die Aufgaben und die soziale Stellung der heutigen Hunde spiegeln die Gesellschaft. Umso logischer erscheint die Sehnsucht vieler Menschen nach einem Hund. Der Hund erdet uns – instinktiv wissen wir, dass der Hund vieles richtig macht. Was für den Hund gut ist, tut oft auch dem Menschen gut: Bewegung an der frischen Luft, ein voller Bauch mit gesunder Nahrung, verlässliche Sozialkontakte. So einfach ist es.

„Was für den Hund gut ist, tut oft auch dem Menschen gut.“

Das Wesentliche leben

Sorglosigkeit, Naturverbundenheit und Treue sind unter den am häufigsten genannten Gründen, was Menschen an Hunden mögen und bewundern. Hunde machen sich in der Regel keine Sorgen. Stattdessen leben sie vorwiegend im Hier und Jetzt und erinnern uns daran, dass das Leben manchmal auch ganz einfach sein kann. Hunde machen sich keinen Kopf über die Zukunft oder gar über die Vergangenheit. Damit helfen sie auch dem Menschen, sich auf das Wesentliche zu besinnen – der Mensch muss es nur zulassen.

„Hunde leben vorwiegend im Hier und Jetzt und erinnern uns daran, dass das Leben manchmal auch ganz einfach sein kann.“

Interessanterweise sind das alles auch Themen, die uns aktuell in der Corona-Krise beschäftigen. In Zeiten der Einschränkung, während manche eine erzwungene Verschnaufpause einlegen und andere die doppelte Arbeitslast tragen, stellt sich vielen unweigerlich die Frage, was denn eigentlich wichtig ist im Leben. Die Frage muss jeder Mensch für sich individuell beantworten – Hunde liefern aber einige Anregungen, siehe oben. Vielleicht ist das bei allem Leid einer der positiven Aspekte der Krise.

* Dohrmann, Karin (2014): Der historische Hund. In: SitzPlatzFuss. Das Bookazin für anspruchsvolle Hundefreunde 15, 10f.