Von der Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen

In allen Bereichen des Lebens müssen wir ständig Entscheidungen treffen. Was wir tun, wie wir es tun, wann wir es tun und mit wem. Auch im Leben mit Hund sind ständig Entscheidungen zu treffen. Ganz kleine – jetzt raus oder in zehn Minuten? Oder größere, zum Beispiel beim Tierarzt, die die Gesundheit des Hundes betreffen. Viele Entscheidungen sind auch in der Erziehung eines Hundes zu treffen. Die kleinen Entscheidungen treffen wir ganz unbemerkt. Mit größeren tun wir uns oft schwerer – richtig quälend kann der Entscheidungsprozess werden. Warum ist das oft so schwer? Was sind Entscheidungen eigentlich? Und warum betrifft dieses Thema gerade auch Menschen mit Hund?

Die Prinzipien des Entscheidens

Stellen wir uns eine Situation vor, in der eine schwierige Entscheidung getroffen werden soll. Meist stehen zwei Optionen zur Auswahl – A oder B. Nach landläufiger Auffassung werden Entscheidungen entweder mit dem „Bauch“ oder mit dem „Kopf“ getroffen. So gebe es Entscheidungen, bei denen die Argumente gegeneinander abgewogen wurden, um dann auf Grundlage von guten Gründen vernünftig zu entscheiden. Dem gegenüber stehen Entscheidungen, die durch das „Bauchgefühl“ getroffen werden, mit Intuition und Hineinspüren in die Gefühlswelt.

„Kopf gegen Bauch, Bauch gegen Kopf – ist das wirklich so?“

Manche Entscheidungen, so glauben wir, sollten besser mit dem Verstand getroffen werden. Eine Politikerin, die angibt, nach Gefühl zu entscheiden, würde zum Beispiel eher Misstrauen wecken – die Sachlage, das Fachwissen, der Weitblick liefern da bessere Argumente. In anderen Bereichen haben Bauchentscheidungen den besseren Ruf. Bei der Antwort auf einen Heiratsantrag zum Beispiel würden wohl die meisten Menschen von einer Verstandsentscheidung abraten. Dummerweise sind nur die meisten Fälle nicht so eindeutig. Dann stehen sich Kopf und Bauch im Weg, weisen in entgegengesetzte Richtungen. Der Mensch lauscht in sich hinein, grübelt, macht Listen mit dem Für und Wider, tendiert erst zur einen Lösung, dann zur anderen …

Angst vor einer falschen Entscheidung

Aber warum fällt es oft so schwer, „einfach“ zu entscheiden? Ein Grund ist die Angst, sich falsch zu entscheiden. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Fehler streng geahndet werden. Schon auf den Arbeitsblättern in der Grundschule gibt es genau eine richtige Antwort. Falsche Antworten werden mit schlechten Zensuren bestraft. Kein Wunder, dass wir Angst vor Fehlern haben und auch bei Entscheidungen denken, wir müssten genau die eine richtige Lösung finden.

Verzweifelt versuchen wir, die Sache durch Nachdenken zu entscheiden. Streng dich an, dann kommst du drauf! Die moderne Welt ist voller Informationen. Für jedes Argument scheint es auch ein Gegenargument zu geben, drei Fachleute haben vier Meinungen … Die schiere Menge an Informationen macht die Entscheidungsfindung nicht leichter, im Gegenteil. Sie führt außerdem dazu, dass nach der Entscheidung der Eindruck entsteht, sich für noch mehr eben nicht entschieden zu haben, was den Zweifel vergrößert, ob es wirklich die richtige Entscheidung war.

Sicherheit und Bequemlichkeit

Ein weiterer Grund, warum Entscheidungen oft so schwerfallen, sind Skepsis und Vorsicht gegenüber dem Neuen. Das Neue – also ein anderer Zustand als jetzt – ist schwer einschätzbar. Diese Aufmerksamkeit gegenüber Risiken ist eigentlich sinnvoll, sie ist evolutionär begründet, denn Leichtsinn und das Übersehen von Gefahren konnte unseren urzeitlichen Vorfahren das Leben kosten. Je neuer und unberechenbarer eine Situation war, desto gefährlicher konnte sie werden. Das Bekannte bietet deshalb Sicherheit und Schutz – auch wenn das Bekannte nicht (mehr) gut ist. Das Neue hingegen birgt Unbekanntes und damit Risiken. Das Gehirn vermeidet Neues auch, weil es energiezehrend ist. Das Neue ist anstrengend für das Gehirn, das danach strebt, bestehende neuronale Verbindungen zu stärken.

„Das Neue hat eine Chance verdient!“

Um zu einer Einschätzung zu kommen, gleicht das Gehirn Erlebnisse immer mit bereits gemachten Erfahrungen ab und sucht nach Assoziation. Indem es nach Zusammenhängen und regelmäßigen Mustern sucht, versucht es, eine Vorhersage für das Neue zu treffen. Für das Bekannte sind keine großen Anstrengungen erforderlich, der Mensch kann gemütlich in seiner Komfortzone bleiben. Erst wenn der Leidensdruck zu groß wird und das Altbekannte den aktuellen Anforderungen nicht mehr standhält, bekommt das unbekannte Neue überhaupt eine Chance.

Im neuzeitlichen Entscheidungsprozess äußert sich die Skepsis gegenüber dem Neuen oft als Tunnelblick. Andere Optionen werden unsichtbar. Oft genug gibt es neben A und B nämlich noch C, vielleicht sogar D. Doch vor lauter Tunnelblick sehen wir sie nicht. Und die Leistungsgesellschaft mit ihrer mangelnden Fehlerkultur verhindert es, dass wir bei einer Fehlentscheidung einen Fehler eingestehen und etwas Neues ausprobieren können.

Ein Gegensatz, der keiner ist

Und so ringen wir um eine Entscheidung, mühen wir uns ab und kommen doch zu keinem Ergebnis. Die gute Nachricht lautet aber: „Bauch“ und „Kopf“ sind natürlich miteinander verknüpft. Mehr noch: Der vermeintliche Gegensatz ist gar keiner. Das Gehirn entscheidet nämlich sowieso – denn auch das, was wir als Gefühl kennen und im Bauch oder in der Herzregion verorten, spielt sich in bestimmten Gehirnregionen ab.

„Intuition ist gefühltes Wissen.“

In einer Entscheidungsfindung gibt es eine meist sehr schnelle erste Einschätzung aus einem Bereich, der sich jenseits unserer bewussten Wahrnehmung abspielt. Das Bewusstsein kann nur eine begrenzte Anzahl der Eindrücke aufnehmen, die ständig auf es einwirken. Diese Eindrücke betreffen alle Sinne – in jeder Sekunde sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken wir. Doch diese Eindrücke erreichen nur zu einem kleinen Teil unser Bewusstsein. Der Rest wird ebenfalls aufgenommen, dringt aber nicht ins Bewusstsein.

Die Kraft der Intuition

Das Unbewusste speist sich aus unseren ganz individuellen Erfahrungen und wirkt auf den Entscheidungsprozess, ohne dass wir es merken. Bereits gemachte Erfahrungen wirken auf unser Handeln, was sich dann als intuitive Entscheidung äußert. Da wir zu diesem Unbewussten nicht so einfach Zugang bekommen, sind solche Entscheidungen oft überraschend. Sie können blitzschnell getroffen werden, zum Beispiel auch in gefahrenvollen Situationen – dann, wenn jemand im Notfall „intuitiv das Richtige“ tut. Intuition kann erstaunlich verlässlich sein, wenn der Mensch reich an Erfahrungen ist. Unfehlbar ist sie selbstverständlich nicht.

Für reine Verstandsentscheidungen ist in Gefahrensituationen oft gar nicht die Zeit. Dass wir trotzdem entscheiden können, liegt daran, dass der Prozess des Entscheidens immer auf einer emotionalen Ebene beginnt – und Argumente auf Verstandesebene sind ebenfalls beeinflusst durch individuelles Erleben und Erfahrungen. Studien haben gezeigt: Je „logischer“ die herangezogenen Argumente sind, desto größer ist die Gefahr, dass der Mensch mit der schließlich getroffenen Entscheidung doch nicht zufrieden ist. Je intuitiver die Entscheidung, desto größer die Zufriedenheit damit.

„Bauch schlägt Kopf – steh dazu!“

Das Bauchgefühl kann dabei sehr zuverlässig sein – gerade dann, wenn ein Mensch auf viele Erlebnisse zurückgreifen kann. Der Verstand wird erst im nächsten Schritt „dazugeschaltet“ und versucht dann, aus dem Bewusstsein Daten zu finden, die das Bauchgefühl entweder stützen oder widerlegen. Oft meint es dann der Verstand also quasi besser zu wissen. Er ist darauf trainiert, Einwände zu finden, ein Gegenargument, das Haar in der Suppe. Doch nicht immer ist das richtig im Sinne einer „guten“ Entscheidung. Weshalb intuitive Vorschläge, Schätzungen und eben Entscheidungen oft genau richtig sein können, wenn man eben nicht lange darüber nachgedacht hat. Zu viel Denkerei stört gewissermaßen die Datenleitung zum Unbewussten. Deshalb kann es beispielsweise Kreativität auch vor allem dann geben, wenn das Bewusstsein Ruhe gibt. Doch da wir in der Entscheidungsfindung immer so viel denken, können wir nicht kreativ sein und auf die Optionen C oder D kommen.

„Wer nicht zögern will, muss fühlen.“

Die Auflösung des vermeintlichen Widerspruchs zwischen „Bauch“ und „Kopf“ bedeutet andersrum: Keine Entscheidung kann ohne den Bauch getroffen werden. Grundlage von Entscheidungen ist immer die Gefühlsebene. Das bewusste Abwägen von Für und Wider funktioniert nur bedingt – vor allem aber brauchen Entscheidungen Emotionen. Dann kann eine Entscheidung getroffen werden, mit der es sich gut leben lässt, weil sie sich schlicht gut anfühlt.

Was hat das nun mit Hunden zu tun? 

Eine ganze Menge, denn auch das Leben mit Hund besteht aus einer nicht enden wollenden Kette von Entscheidungen. Da Hunde im Leben von Menschen so unterschiedliche Rollen spielen, gibt es im Vergleich zu früher, als Hunde meist Arbeitstiere waren und klare Rollen im Leben der Menschen erfüllten, heute auch mehr zu entscheiden. Mit seinen vielen Optionen und Beziehungsmodellen hat das Leben mit Hund eine viel höhere Entscheidungsdichte als früher. Allein die Wahl des Futters stellt sich schon als kleine Wissenschaft dar. Von Fragen des Verhaltens ganz zu schweigen. Deshalb kommen wir immer wieder an den Punkt: Was ist der richtige Weg? Wie gestalte ich das Zusammenleben? Welche Grenzen soll es geben? Und diese Entscheidungen muss der Mensch treffen, schließlich hat er den Hund in seine Welt geholt und trägt die Verantwortung.

Zögern aus Unsicherheit und Sorge

Menschen, die zu mir kommen, erlebe ich oft zögernd. Einmal angenommen, sie haben sich vorgenommen, an einem bestimmten, störenden Verhalten ihres Hundes zu arbeiten: Wir haben die Situation besprochen, ich habe erklärt, welche Schritte notwendig sind, damit sich das Verhalten des Hundes ändert, und wir haben gemeinsam einen Vorgehensplan erstellt.  Dann wäre es eigentlich logisch, die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen – zunächst auch unter Anleitung – direkt umzusetzen. Doch nicht alle tun das. Sie könnten handeln, damit sie das gewünschte Ergebnis erreichen – doch sie zögern.

Sie sind in der Regel aus diesen Gründen unsicher: 

Sie wissen nicht, ob das, was sie tun könnten, zu einem dauerhaften Erfolg führt. 

Sie haben Angst, dass das eventuell vom Hund nicht angenommen wird – und dass sie damit als Mensch nicht angenommen werden. 

Sie haben Angst, etwas falsch zu machen und damit etwas oder noch mehr kaputt zu machen – Vertrauen, Bindung, Beziehung. Sie können die vorgegebenen Handlungen oder die Schritte im Verhalten physisch und emotional noch nicht umsetzen – oft, weil sie ihren eigenen Körper im Umgang mit dem Hund noch nie so einsetzen mussten, und weil die Art der Kontaktaufnahme mit dem Hund auch mit Dranbleiben und Durchhalten zu tun hat. 

Viele haben auch Angst vor einer Bewertung von außen, also durch mich oder das Umfeld – sie schämen sich. 

Sie müssen sich konzentrieren, was vielen Menschen schwerfällt, wenn unsere Welt vor lauter Ablenkungen nur so wimmelt. 

Ein Hund spürt diese Unsicherheit und das Zögern und trifft dann eigene Entscheidungen – meist solche, die sein Mensch nicht wollte, unter Umständen fällt seine Reaktion sogar in die Kategorie „unerwünschtes“ oder sogar gefährliches Verhalten – also oft genau solches, wegen dem der Mensch überhaupt zu mir gekommen ist.

Probleme mit dem Hund durch unklare Kommunikation

Diese Inkonsequenz im Handeln ist auch Ausdruck einer unklaren Kommunikation zwischen Mensch und Hund. Ohne Klarheit kann ein Individuum ein anderes nicht überzeugen. Klarheit ist gerade in der Kommunikation mit Hunden ein wichtiges Ziel, denn sie können nicht sprechen und auch menschliche Sprache nur bedingt verstehen. Hunde spüren, ob etwas ehrlich und aufrichtig gemeint ist, unter anderem durch körpersprachliche Signale, und sie wünschen sich einen klaren Menschen. Wenn du mit deinem Hund an einem Problem arbeiten willst und dann zögerst, läuft der Hund mit seinem Bedürfnis nach Klarheit jedoch ins Leere. Du hast Kontakt zu ihm aufgenommen, er ist aufmerksam, wartet – und dann kommt nichts. Er fragt sich berechtigterweise: Was will mein Mensch denn nun von mir? Da er keine Antwort bekommt, macht er eben andere Dinge – siehe oben. Vielleicht spult er auch irgendein Verhalten ab, von dem er meint, der Mensch könnte es wollen … Oder er geht ganz aus dem Kontakt und verfolgt gänzlich eigene Interessen.

„Ein Problem ist eine nicht getroffene Entscheidung.“

Wer die Kommunikation zum Hund aufnehmen und halten will, muss sich auch einbringen lernen – und es durchziehen. Das durchzuhalten fällt vielen Menschen schwer. In der Folge nimmt der Hund den Menschen nicht ernst, der Mensch wird durch dieses Verhalten unglaubwürdig. Meist ist das nicht das erste Zögern. Der Mensch hat sich (zu) oft dem Hund angepasst, sich nicht am eigenen Interesse orientiert, sondern an dem des Hundes. Und jetzt soll ein Rollenwechsel stattfinden? Um das dem Hund glaubhaft zu machen, braucht es schon einiges an Beharrlichkeit, schließlich hat er seinen Menschen anders kennengelernt. Plötzlich nimmt der Mensch das Zepter in die Hand, will den Hund bewegen, wo doch der Hund sonst immer den Menschen bewegt hat? Das wird kein Hund so einfach kommentarlos geschehen lassen. Und auch davor haben die Menschen oft Angst – dass sie Grenzen setzen und Konditionen vorgeben müssen. Statt entschieden zu handeln, denkt der Mensch zu viel nach, ist zu kopflastig, und all das Denken lässt ihn wiederum zögern in seinem Tun und mit Entscheidungen hadern.

Tatsächlich ist es so: Ein Hund akzeptiert jede Entscheidung, solange sie konkret und verständlich vorgetragen wird. Und er verwehrt auch seine Zuneigung nicht, selbst wenn es vielleicht eine zunächst unbequeme Entscheidung ist. Hunde sind so – sie wünschen sich vor allem eine klare Rollenverteilung, eine eindeutige Hierarchie. Hunde sind aus ihrer Evolution heraus quasi die Sicherheitsbeauftragten vom Dienst. Wenn ihr Mensch nicht für Sicherheit sorgt und entsprechende Entscheidungen trifft, dann trifft sie der Hund.

Was Entscheidungen leichter macht – auch im Hundetraining

Vielen Menschen fällt eine Entscheidung leichter, wenn sie drei Optionen haben. Drei ist eine gute Zahl: Bei zwei muss man sich immer gegen eine und für die andere entscheiden; vier sind schon zu viel. Wenn ich glaube, dass es dem Menschen hilft, rege ich als Trainerin deshalb oft drei mögliche Vorgehensweisen an. Dabei benutze ich natürlich mein Wissen, aber insbesondere auch meine Intuition, die im Zusammenhang mit Hunden naturgemäß ziemlich gut ist, weil ich schon viele Erfahrungen sammeln durfte. Mit den drei Optionen gibt es eine gute Grundlage für die Entscheidung.

Und dann versuche ich klarzumachen:

Gib der Intuition eine Chance! Was sagt das Bauchgefühl? 

Schalte den Kopf ab! Mach keine Pro-und-Contra-Listen, hör auf zu grübeln.

Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung! Wenn du nicht handeln willst, ist das in Ordnung – aber entscheide dich auch dafür ganz bewusst.

Entspann dich! Wenn deine Entscheidung nicht zum gewünschten Ergebnis führt, darfst du neu entscheiden. 

Das gute an Entscheidungen ist nämlich, dass sie nur in seltenen Fällen unumstößlich sind. Wenn du dich für eine bestimmte Herangehensweise entschieden hast und sie nicht zum gewünschten Ergebnis führt, kannst du natürlich hadern und dich über die Fehlentscheidung ärgern. Du kannst die Sache aber auch drehen – indem du dann eine neue Entscheidung triffst.